BMW F 800 ST - Ein sehr persönlicher Fahrbericht

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    • BMW F 800 ST - Ein sehr persönlicher Fahrbericht

      Neulich beim Freundlichen – eine große Inspektion bei meiner K 1100 RS steht an (geil ! 16 Ventile abrechnen !!!), und dann ist es nur recht und (überhaupt nicht) billig, wenn beim Thema Ersatzfahrzeug der Typ vom Tresen mit generöser Geste auf die zugelassenen Mopeds vorm Schaufenster zeigt: „Suchen Sie sich eins aus ! Schon mal n Boxer gefahren?“ - Er meint eine 11er Sportboxer – nene, das muß nicht sein. Auch die K 1200 S lasse ich aus. Entweder, ich komme mit diesem Renneisen nicht zurecht, oder ich schmeisse sie hin, oder ich werde süchtig – letzteres wäre das Schlimmste für meine Finanzen, und überhaupt: ist doch gar keine richtige K mehr, mit ihrem stehenden, quer eingebauten Motor ! Die Suzi DL 650 kenne ich vom letzten Mal, und habe sie für sehr gut befunden. Aber da stehen eine Reihe von diesen neuen F 800ern, auch eine ST. Alsodann: die will ich haben für zwei Abenden vom Freundlichen nachhause (zuzüglich ein paar schönen Kurven links und rechts der Navi-Strecke).

      Die F 800 ST soll die tourentaugliche Variante der sportlichen „Ur-F800“ sein. Sie hat ein ausgeprägteres Windschild, eine Vollverkleidung und eine komode Segelstange als Lenker. Davor ein recht übersichtlicher Arbeitsplatz: ein großer Tacho, dessen Skalierung irgendwie verwirrt, weil die Zahlen auf den ersten Blick schwer mit irgendwelchen Strichen zusammenzubringen sind. Fährt man nun 60 oder schon 70 ? - Wenn man gerade einen Starenkasten passiert, ist das schon eine interessante Frage. Darunter ein kleiner aber wesentlich übersichtlicherer Drehzahlmesser, rechts daneben das Mäusekino mit Ganganzeige, Distanz zum Tanken, Tageskilometerzähler, Momentanverbrauch, Durchschnittsverbrauch, Durchschnitsgeschwindigkeit und – als einziges wirklich interessant: Aussentermometer. Easy über einen Knopf am linken Lenkerende zu bedienen. Selbstverständlich auch Tankanzeige und Kühlmitteltemperatur in digitaler Form. Nehmen wir Platz !

      Der Sitzplatz ist durchaus bequem, doch gewöhnungsbedürftig. Vorne steigt die Tankattrappe steil vorm Bauch auf, hinten eine Art Rennhöcker am Steiss – gewöhnungsbedürftig, aber ganz in Ordnung. Der Lenker liegt ergonomisch gut in der Hand, die wichtigen Armaturen (Licht, Blinker, Starter) in klassischer BMW-Manier. Der Blick nach links unten: wo ist der Seitenständer ? - Das darf doch nicht wahr sein, so ein spütteliges Spiesschen mit einer Aufstandsfläche von der Größe meines Daumennagels. Stabil aussehen ist was anderes ! Naja, wir wollen ja fahren, und nicht abstellen, also weggekickt das Teil, und den Starter gedrückt. Der Twin grummelt los, und die Elektrik tut ihre Arbeit: Startautomatik. Leicht angasen, losrollen, Beine hoch, Beine höher – wo zum Teufel sind die Fußrasten ? - Etwa in Kniehöhe findet man dann endlich was, worauf man sich abstützen kann. Die Fußrasten liegen sehr, sehr hoch, und erzwingen einen engen Kniewinkel. Dann stimmt aber alles: Schaltung und Fußbremse sind leicht zu erreichen, die übrige Sitzposition gefällt: leicht vorderradorientiert, aber noch im bequemen Bereich.

      Was indessen weniger gefällt: der Twin macht unterhalb von 4.000 upm einen sehr mässigen Eindruck. Er kommt nicht aus dem Kreuz, braucht im engen Geläuf beständige Beihilfe der Kupplung, und gibt ein Sammelsurium von ungesunden Geräuschen von sich, als hätte er eine akute Bronchitis, und würde jeden Moment pfundsweise Metallsplitter und Ölschleim aus dem Auspuff husten – schauderhaft, wenn man noch das Visier offen hat, und dieses Geröchele und Geschreddele mit anhören muß. Dazu kommen sehr lange übersetzte Gänge. Ich bin recht bald dazu übergegangen, den ersten Gang bis ca. 60 kmh zu ziehen, den Zweiten bis etwa 100 und den Dritten als normalen Landstrassenfahrgang anzusehen. Die oberen drei Gänge benutze ich in den kurvigen und bergigen Strecken zwischen der Langen Rhön und der Wasserkuppe fast nie. Den Fünften und Sechsten hab ich nur mal probehalber eingelegt, um sofort wieder runterzuschalten. Es ist schon komisch, generell im Zweiten durch die Ortschaften zu fahren, und selbst auf der Landstrasse, in Bergaufkehren den Ersten regelmässig bemühen zu müssen – nicht selten wieder mit massiver Kupplungshilfe. Eine gesunde Getriebeabstufung ist das nicht. Man meint, das Getriebe sei für einen stärkeren Motor ausgelegt – wer weiss, vielleicht überrascht uns BMW ja demnächst mit einer F 1000 oder einem Dreizylinder ? - Mit dem Twin jedenfalls wünscht man sich ein anderes Getriebe. Wenigstens schlägt sich diese Fahrweise nicht übermässig negativ im Verbrauch wieder. Mein Durchnittsverbrauch bewegt sich rasch in Richtung auf 5 l – bei der Ankunft zuhause steht er bei 5,1 l.
      Dafür bekommt man aber in der zweiten Drehzahlhälfte ganz schön was geboten – da zeigt der Twin, das er ne ganz schöne Menge drinn hat. Einmal auf 5.000 upm hängt er akkurat am Gasgriff, dreht willig hoch, und liefert einen befriedigenden Vortrieb, der sich durchaus mit meiner K 1100 RS messen kann. Lastwechselreaktionen sind dem Zahnradantrieb im oberen Drehzahldrittel fremd – an das Gefühl, gegen Kaugummi zu schalten, hat man sich schnell gewöhnt. Ein zukunftsträchtiges Konzept wie ich meine, zumindest für kleinere und mittlere Motoren, denen man einen Karadan nicht zumuten will. Die F 800 mag es, flott bewegt zu werden – durchaus kein Moped für Blümchenpflücker. Auch das Fahrwerk überzeugt auf Anhieb. Mit den bewährten Z6 bereift geht es mühelos in die Kurven, ist sehr präzise zu lenken, und bleibt von Fahrbahnunebenheiten erstaunlich lange unbeeindruckt. Wieder stellt sich der Eindruck ein, daß nicht nur das Getriebe, sondern auch das Fahrwerk zur Aufnahme von höheren Leistungen berufen sein könnte. Ist da was im Busche ? - Egal, es macht höllisch Spass, die F 800 durch flotte Kurven zu drehen, und um die Dosen herumzuhüpfen. Die Schräglagenreserve kommt einem enorm vor, der Z 6 klebt am Asphalt, und der Motor – bei Laune gehalten – schiebt die Fuhre sehr angemessen voran, und stemmt den Fahrer gegen den Wind.

      Denn Wind- und Wetterschutz kann man so ziemlich vergessen. Turbulenzfrei, aber ansonsten sehr heftig trifft der Wind auf die Heldenbrust des Fahrers, und es bleibt mir ein Rätsel, wie sich auch schlankere Gestalten so hinter dem steilen Tankaufbau verkrümmeln wollen, daß sie von Wind und Regen halbwegs verschont bleiben könnten. Das erinnert mich wieder an das lang übersetzte Getriebe: wozu dieser lange fünfte und sechste Gang ? Wenn man auch nur im 5. Gang im vom Motor halbwegs akzeptierten Drehzahlbereich angekommen ist, ist man auf der Landstrasse schon lang im illegalen Bereich, und auf der BAB knallt einem der Wind in den Solarplexus wie eine Gerade von Bubi Scholz.

      Also ziehen wir vernüftigerweise mal die Bremse an – und merken erst mal garnichts. Die Vorderbremse verzögert zwar sehr anständig, doch mit einem äusserst schwammigem Druckbereich – von Druckpunkt kann man garnicht mehr sprechen. Sowas hat nur die hintere Bremse zu bieten. Lobenswert dagegen, daß das Fahrwerk selbst von harten Bremsungen völlig unbeeindruckt bleibt, nicht bockt und blockt, und selbst im – nur gefühlsmässig erreichten - ABS-Regelbereich bleibt die Fuhre recht stabil.

      An der Wasserkuppe mache ich meine große Pause, schlürfe ein Cola, schmauche ein Kippchen, und besehe mir das Teil, das sich leicht auf den Hauptständer hiefen liess. Ein schmuckes Motorrad, eine echte BMW, solide verarbeitet durch und durch, und – wie es mir als Anti-Schrauber vorkommt – auch sehr wartungs- und bedienungsfreundlich konstruiert. Mir scheint, als ob nach Abnahme der ziemlich überflüssigen Verkleidung fast alle Aggregate gut erreichbar sein werden. Auch die Verstellung des Federbeins (von der ich die Finger gelassen habe), geschieht über ein offen im Rahmendreieck liegendes Handrad. Die beiden Spiegel indessen dienen nur dem Zweck, einer Norm der Strassenverkehrszulassungsordnung zu genügen – einen praktischen Zweck haben sie nicht. Allenfalls in Schräglage kann man einen Blick auf den hinteren Verkehr erheischen, ansonsten sieht man seine Ellenbogen.

      Mein Resümmé der F 800 ST sieht so aus: ein feines, ungeheuer agiles und solides Motorad, daß indessen unter erheblichen Schwächen in der Abstimmung leidet. Die angebliche Tourentauglichkeit verliert enorm unter dem geringfügigen Windschutz, dem viel zu spitzen Kniewinkel und dem Unvermögen, sich auch im engen Geläuf ohne Kupplungshilfe adäquat zu bewegen. Werden die Kurven dagegen schneller, dann macht die F 800 richtig Spass – sofern sie artgerecht flott bewegt wird: ein richtig geiler Kurvenräuber ist das. Lösungen für den Windschutz wird der Zubehörhandel anbieten, auch die Fußrasten könnten tiefer gelegt werden – wer weiss, wie tief, ohne daß die schöne Schräglagenfreiheit leidet. An dem unharmonischen Verhältnis von Getriebe und Motor jedoch wird der Fahrer kaum etwas ändern können – es sei denn, BMW bietet ein überarbeitetes Getriebe an – oder einen stärkeren Motor, den noch niemand kennt. Indessen würde ich diesen Kurvenräuber dann doch ohne die aufpreispflichtige Verkleidung ordern wollen, die eh nicht viel taugt, allenfalls vielleicht den breiten Lenker, der mir aber ebenfalls nicht wirklich erforderlich erscheint.
      Und zum Abschluß sei noch gesagt, daß sich ein eingefleischter K-Fahrer recht schnell heimisch auf der F 800 fühlen wird: das Teil vibriert nämlich wie Sau !

      Modellpflege wird sehr notwendig sein – aber andererseits birgt das Konzept noch etliche Potenziale, auf deren Verwirklichung man gespannt sein darf !

      Gruß

      Kroni